Uraufführung
von Friedrich Cerha und Peter Wolf
Frei nach dem Bühnenstück »Eins, zwei, drei« von Ferenc Molnár
Premiere am 01.06.2013 im Prinzregententheater
100 Minuten, keine Pause
»Die Gattung ›Komische Oper‹ wird von Komponisten schon seit geraumer Weile vernachlässigt.« Also sprach der große alte Herr der neuen Musik, Friedrich Cerha, und schuf Abhilfe: Gemeinsam mit dem Textdichter Peter Wolf machte sich Cerha an eine »Musikalische Farce«, die nun unter dem Titel »Onkel Präsident« vom Staatstheater am Gärtnerplatz im Prinzregententheater uraufgeführt wird.
Auf der Basis von Ferenc Molnárs Bühnenstück »Eins, zwei drei«, das 1961 von Billy Wilder verfilmt wurde, zeichnet Cerha die Wandlung des Fahrradboten Josef Powolny zum Spitzenmanager mit Adelsprädikat. Der »Onkel« Präsident, allmächtiger Chef eines Stahlkonzerns, zieht die Fäden, um einen präsentablen Ehemann für die Millionenerbin Melody Moneymaker zu »erfinden«.
Friedrich Cerha hat eine an Tempo und musikalischen Anspielungen reiche Komödie geschaffen, die immer wieder die Kunstform Oper durch witzige Extempores auf die Schaufel nimmt – etwa, wenn der Tenor mit dem Kapellmeister in Streit gerät, ob er seine Arie nun singen darf, oder wenn derselbe Kapellmeister vom Präsidenten gerügt wird, er dirigiere »zu laut, man versteht ja sein eigenes Wort nicht«. Eingerahmt wird die turbulente Handlung von der Zwiesprache des Präsidenten mit einem bejahrten Komponisten. »In Ihrem Alter hatte Verdi den ›Falstaff‹ schon fertig«, meint der Präsident zu Anfang vorwurfsvoll, um schließlich zu resümieren: »Der ›Falstaff‹ ist ja doch nicht zu übertreffen.« Da mag was dran sein, doch mit »Onkel Präsident« ist dem 87-jährigen Siemens-Musikpreisträger Cerha ein vitales Lebenszeichen nicht nur seiner Kunst, sondern der verblasst geglaubten »Komischen Oper« überhaupt gelungen.
Kompositionsauftrag des Staatstheaters am Gärtnerplatz mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens-Musik-Stiftung
In Kooperation mit der Volksoper Wien
Ich habe 1986 notiert, dass der »Rattenfänger« wohl meine letzte Oper sein wird. In den 90er Jahren wurde ich dann doch wieder zu einer verführt,- dem »Riesen vom Steinfeld« nach Peter Turrini. Seither habe ich vielerlei Anfragen – ziemlich rigoros – negativ beantwortet. Dass man mir auch nahegelegt hat, eine komische Oper zu schreiben, hat allerdings mein Interesse an einem Bereich betroffen, der mich schon in meinen »Keintaten« und Chansons beschäftigt hatte, - einem Genre, das satirisch trifft, sich aber nicht in der Farce erschöpft.
Als mir eines Tages – ich glaube es war 2004 – Peter Wolf (einer meiner Freunde, darf ich wohl sagen) ein Libretto nach dem Stück »eins, zwei, drei« von Franz Molnar brachte, habe ich ihm daher zunächst wenigstens zugehört. Ich habe es aufmerksam gelesen, es mit dem Original verglichen und mir die Verfilmung von Billy Wilder angesehen, der das Stück in die Atmosphäre des geteilten Berlin zur Zeit des Kalten Kriegs der 60er Jahre transferiert hat.
Meine anfängliche Reserviertheit ist allmählich einem zunehmenden Interesse gewichen, - nicht nur weil einem im vorgerückten Alter das Lächeln und das Lachen ob des zunehmenden Selbstvertrauens leichter fällt. (In meiner Jugend hatte man nichts zu lachen, obwohl ich es trotzdem immer gerne getan habe.) Wie in allen meinen Opern geht es grundsätzlich um den Umgang mit Macht, um die Mechanismen ihres Funktionierens und darum, wie das Einzelindividuum darauf reagiert. Die Charaktere der handelnden Personen sind allerdings hier nicht so »schicksalhaft« festgelegt bzw. entwickelt wie im »Baal«, im »Rattenfänger« oder im »Riesen«. Der »Präsident« hält sichtbar die Fäden des Spiels in der Hand und lenkt die Ereignisse wie die Figuren, die ihre spezifischen Charaktere haben, aber auch – wie die jugendliche Gegenfigur im Stück - individuell reagieren können. Die Farce über die Machbarkeit von Karrieren sollte das nicht überdecken.
Peter Wolf hat das grobe Gerüst des Molnar-Stücks übernommen; vom Molnar’schen Text ist kaum ein Wort erhalten geblieben. Ich habe viele Wünsche zum Libretto gehabt und schließlich auch selbst mitgeschrieben. Es wurde immer wieder daran gefeilt und im Lauf der Jahre sind – von Peter witzig kommentiert – annähernd 30 Fassungen entstanden. Die Arbeit am Libretto hat übrigens bei allen meinen Opern längere Zeit beansprucht als die Komposition. Freilich verfestigten sich schon während dieser Arbeit die musikalischen Vorstellungen zusehends und als die erste Note geschrieben wurde, hatte ich völlige Klarheit bezüglich der musikalischen Architektur, den grundsätzlichen Leitgedanken und dem Material. Die Niederschrift erfolgte 2009/10.
Zur Person des Protagonisten: Der Präsident ist Chef eines großen (Stahl-)Konzerns, ein Machtmensch, der alle korrumpierenden Mittel uneingeschränkt benützt, die ihm seine Stellung einzusetzen erlaubt. Als solcher ist er ein Vertreter unserer kapitalistischen Gesellschaft. Aber er vermag auch seine Rolle aus der Distanz zu sehen; wie viele Schnitzler’sche Gestalten sieht er dem Spielen seiner Rolle zu (»Wir sind nie sicher, viele merken es nur nicht, oder zu spät«). Und er vermag auch anderen zuzuhören, Anteil zu nehmen am Befinden seiner Untergebenen. Die ganz privaten Fragen, die er an sie stellt, empfindet er freilich vor sich selbst als unvereinbar mit seiner Rolle als Chef und bezeichnet sie – sich gleichsam dafür entschuldigend – als »Öl auf meine Maschine, damit sie läuft.« Durchaus ehrlich ist auch seine Besorgtheit um Arbeitsplätze; ihre von ihm zitierte Anzahl steigt nur unverhältnismäßig: sie wird in Gefahrenmomenten von Mal zu Mal immer höher.
Das eigentliche – und allzeit akute - Thema des Stücks, wie und mit welchen Mitteln man Karrieren »macht«, betrifft auch Menschen, die dabei verwandelt, - in eine andere Rolle, in ein anderes soziales Umfeld gedrängt werden. Powolny, dem einfachen, etwas verwahrlosten Burschen, der als Fahrradbote sein Geld verdient, widerfährt das. Er ist keine Kraftnatur, die gegen das, was man ihm in seiner Verwandlung zu einem in der guten Gesellschaft präsentablen Schwiegersohn aufzwingt, revoltiert. Sein entschiedenes »Nein« zu den Summen, die man ihm anbietet, wenn er aus dem Leben seiner Melody verschwindet, zeugt aber von Charakter. Widerwillig fügt er sich aus Liebe zu ihr in die Rolle, in die man ihn drängt. Und hier scheint ein ernster Hintergrund durch: Das Herausgerissen-Werden aus dem gewohnten Umfeld erzeugt ein Gefühl des Fremdseins in der neuen, ungewohnten Welt. Und dieses sich fremd fühlen in der Welt ist ein uns vertrautes Thema von Schuberts Winterreise bis zu heutigen Emigrantenschicksalen. Es ist musikalisch auf eine Weise charakterisiert, die zum ersten Mal am Ende des Vorspiels vor dem Lessing-Zitat: »Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten« anklingt, einem Satz des Präsidenten, den er durchaus auch auf sich selbst bezieht.
In diesem Vorspiel geht es – pejorativ formuliert – um eine Art respektlosen Cafehaus–Tratschs über die Oper, die als Gattung aber durchaus verteidigt wird; (»Mimi stirbt, das ganze Opernhaus heult. Wenn das gleiche mit einer Asylantin auf der Straße passiert, schauen alle weg. Das ist die Macht der Oper«). Nicht nur hier, sondern im ganzen Stück wird viel zitiert: Falstaff, Don Carlos, Bohème, Götterdämmerung, aber auch die amerikanische (beim Auftritt der Moneymakers) und die japanische Hymne (wer kennt die schon?). Manches ist offenkundig, vieles ist satirisch verformt oder – vor allem, wo es um neuere Literatur geht – so gut versteckt, dass es nur dem aufmerksamen »Kenner« wahrnehmbar wird. In Bayern und Österreich wird man sich in der Pfarrer-Szene des katholischen Prozessionslieds »O Maria hilf« erinnern.
Bezüglich der Stimmen bin ich – wie in allen meinen Vokalwerken (ausgenommen in »Netzwerk«, wo ich mir eine synthetische Sprache geschaffen habe) – von der natürlichen Sprachmelodie ausgegangen; je nach dramatischer Situation verwende ich alle Möglichkeiten vom gesprochenen Wort über Sprechgesang und rezitativische Momenten bis zum Arioso und zur Arie. Textverständlichkeit war mir immer wichtig; sie ist es hier – in einer Konversationskomödie – in besonderem Maß.
Musikalisch ging es mir insgesamt darum, die einzelnen Figuren – wie etwa den Grafen, den Arzt oder den Pfarrer, scharf zu charakterisieren. Dabei ist mir immer der »leggiero«-Charakter der alten Opera buffa vorgeschwebt. Es ist auffallend, dass es in jüngerer Zeit ein vermehrtes Interesse von Komponisten an der Gattung Oper gibt, aber nur ganz vereinzelt musikalische Komödien entstehen. Haben die Komponisten das Lachen verlernt? Wohl kaum. Es gibt offenkundig ein Sprach-Problem: »Avantgardistische« Idiome lassen im Ideal-Fall absurdes Lauttheater entstehen, semantisch artikulierte komische Inhalte bedürfen zu ihrer Verständlichkeit eines vertrauten, funktionierenden Bezugssytems.
Das mehrfache Brechen der theatralischen Illusion nimmt natürlich Bezug auf die Techniken der »romantischen Ironie« an der Wende zum 19. Jahrhundert.
Ungewöhnlich in der langen Geschichte der Oper ist das Ende der meinigen, in dem der Protagonist weder triumphiert, noch stirbt, noch mit seiner Angebeteten vereint wird, sondern im Frieden mit sich und der Welt – einschläft. Auch die Musik schläft am Schluss des Epilogs ein: Hoffentlich nicht auch das Publikum…
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Kompositionsauftrag des Staatstheaters am Gärtnerplatz mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens-Musik-Stiftung
In Kooperation mit der Volksoper Wien