Geschichten mit Musik erzählen
Das renommierte deutsche Autorenduo Wolfgang Adenberg und Marc Schubring im Gespräch mit Dramaturg Michael Alexander Rinz über das mehrfach ausgezeichnete Musical GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN.
Warum schreibt man heutzutage Musicals?
Marc Schubring: Für mich ist das Musical die schönste und heutigste Ausdrucksform des Musiktheaters. Ich mochte immer Melodien, ich mochte Geschichtenerzählen, und beides zusammenzubringen, fand ich schon immer großartig!
Wolfgang Adenberg: Ganz einfach: Geschichten kann man mit Musik oft viel intensiver erzählen als ohne.
Wie steht es denn um die Kunstform Musical in Deutschland?
Wolfgang Adenberg: Sein Stellenwert steigt immer mehr. Das sehen wir nicht zuletzt an der Möglichkeit, für das Staatstheater am Gärtnerplatz eine Uraufführung realisieren zu dürfen. Es gibt immer mehr Intendanten und Dramaturgen, denen daran gelegen ist, das Musical in seiner musikalischen und thematischen Vielfalt als Kunstform anzuerkennen und weiterzuentwickeln.
Marc Schubring: Erfreulicherweise schielen Theater nicht mehr ausschließlich nach London und New York, sondern gucken, was auch hier mit eigenen Autoren und eigenen Geschichten möglich ist.
Und warum ist ein Briefroman aus dem französischen Rokoko die ideale Vorlage für ein neues Stück zeitgenössischen Musiktheaters?
Wolfgang Adenberg: De Laclos bildet in »Gefährliche Liebschaften« zwar die damalige Zeit mit ihren Ränkespielen des Adels ab, die dann schließlich auch mit zur Französischen Revolution führten. Aber die Geschichte, die dahinter steht, ist zeitlos. Sie handelt von zwei Intriganten, die die Liebe einsetzen, um andere Menschen ins Verderben zu stürzen. Das würde heute ebenso funktionieren wie damals. Darum hat das Buch ja auch die Jahrhunderte überdauert. Wir wollten nun herausfinden, welche Elemente dieser Geschichte sich mit Musik noch besser erzählen lassen. Die Handlung entwickelt einen gewaltigen Sog, der unausweichlich auf das tragische Ende zuführt, und den man mit musikalischen Mitteln noch deutlicher darstellen kann als im Sprechtheater oder im Film.
Marc Schubring: Ich habe versucht, für »Gefährliche Liebschaften« eine musikalische Sprache zu entwickeln, die aktuell bleibt. Sie ist psychologisierend, eher filmmusikalisch. Sie startet als Parfüm, als Farbe, als etwas Unaufdringliches, sogar Angenehmes, und dieses Angenehme wird langsam zu Gift, wird bissig und aggressiv, bis man zum Schluss gar nicht mehr weiß, ob das Angenehme das Gift oder das Gift das Angenehme ist. Technisch gesprochen: Ich habe nicht nach einem Valmont-, Merteuil- oder Tourvel-Motiv gesucht, sondern eher nach einem Intrigenthema, einem Liebesthema usw., die sich immer wieder miteinander kombinieren und vermischen lassen, je nach dem dramatischen Fortgang der Handlung.
Oft hat man es im Musical mit Charakteren zu tun, die greifbarer sind als die Figuren in »Gefährliche Liebschaften«. Jeder Charakter äußert sich in seinen Briefen mit eigenen Worten und behält sich damit quasi ein Zensurrecht über sein wahres Innenleben vor. Wie geht man damit als Autor um?
Wolfgang Adenberg: In der aristokratischen Gesellschaft des Rokoko ging es tagtäglich darum, sich zu verstellen, zu täuschen und eine schöne Oberfläche zu wahren. Wir wollten mit Hilfe der Musik unter diese Oberfläche schauen und herausfinden, was die Figuren wirklich denken. Wir wollten hör- und sichtbar machen, was verschwiegen oder nur in Andeutungen erzählt wird. Denn wenn der Klang der Musik den gesungenen Worten widerspricht, wenn von wahrer Liebe gesungen wird, aber in der musikalischen Begleitung finden sich seltsam irritierende Disharmonien, dann spüren wir als Zuschauer, dass man den Worten nicht unbedingt trauen kann.
Marc Schubring: Das Unausgesprochene findet sich auch oft in der Stimmung und im Stil der Musik wieder und konterkariert das Vordergründige. Wir lernen die Figuren und ihre Hintergedanken kennen, und so ist es auch für das Publikum spannend herauszufinden, was Wahrheit und was Lüge ist, was zwischen den Figuren wirklich passiert und wer wen tatsächlich liebt.
Erlaubt uns einen Blick in eure Werkstatt. Wie entwickelt ihr ein Stück wie »Gefährliche Liebschaften«?
Marc Schubring: Das Komponieren und Schreiben vergleiche ich immer mit dem Aufbau eines Senfkorns: Man startet mit der äußeren Hülle und arbeitet sich schichtweise zum Kern vor. Normalerweise reden wir zuerst viel über den Stückinhalt, den Aufbau und über Situationen, in denen möglicherweise Musik vorkommen kann. Dann fange ich an, Musikvorschläge zu machen, und gebe sie an Wolfgang, der darauf einen Text schreibt und diesen wiederum an mich zurückgibt. So rücken wir im Dialog die einzelnen Nummern immer mehr zusammen und werden immer präziser in dem, was wir schreiben.
Wolfgang Adenberg: Wir haben bei den »Liebschaften« aber auch etwas Neues ausprobiert. Normalerweise schreiben wir eher klassische Songs mit traditionellem Aufbau. Diesmal waren wir aufgrund des durchkomponierten Charakters deutlich freier in der Form. So habe ich zuerst Texte in Prosa verfasst, die Marc zu musikalischen Formen inspirierten, auf die ich dann wiederum die endgültigen Liedtexte geschrieben habe.
Marc Schubring: Manchmal blieb es dann auch nicht aus, dass Wolfgang gesagt hat: »Da fehlt mir inhaltlich noch dieser Moment, hast du für mich noch ungefähr 20 Sekunden, um das und das zu erzählen?« Dann wurde die Form noch einmal aufgebrochen, und da das Stück eben sehr motivisch ist – so spielt für mich etwa die Zahl Drei, versinnbildlicht durch das Protagonisten-Trio Merteuil, Valmont und Tourvel, eine wichtige Rolle, was ich in der häufigen Verwendung von ¾-Takt oder Triolen musikalisch ausdrücke – ging das relativ einfach, da ich mit musikalischen Bausteinen arbeiten konnte.
Die Partitur ist der Broadway-Legende Stephen Sondheim gewidmet. Was hat er mit diesem Projekt zu tun?
Marc Schubring: Stephen Sondheim hat als Komponist und Texter im Musiktheater ganz neue Perspektiven aufgezeigt, wie man mit Motiven dramaturgisch arbeiten, aus der Konformität ausbrechen kann und die Figurenführung dadurch unterstützt. Das hat mich immer begeistert und durch die Beschäftigung mit seinen Stücken habe ich viel gelernt, meinen Horizont erweitert. Nicht erst bei
»Gefährliche Liebschaften« hat hat mir das Türen geöffnet, und ich bin ihm dafür sehr dankbar!